Ich habe ja ein schönes Leben: Rechner mit Musik, zwischendrin Hunderunden und – ein Highlight – eine Mittagspause zusammen mit meiner jüngsten Tochter (14). Nun kam sie heute nach Hause – hatte einen Vorschuss auf Ihr Taschengeld bekommen und war im Drogeriemarkt Ihres Vertrauens. Ihr absolutes Hobby ist es, Fingernägel in einer Perfektion zu lackieren, dass das geneigte Nagelstudio ums Eck wahrscheinlich Tränen in die Augen bekommt, also die Betreiber …
So, nun hat sie kräftig investiert – z.B. in Unterlack. Unterlack??? Also, sie erklärt, dass das erstens gut für die Nägel sei und überhaupt auch besser für die Haltbarkeit – was ein Argument für Ihre aufwendigen Designs ist. Aber: Woher weiss sie das??? Mein Frau hat mit Nägel lackieren so viel zu tun wie ich mit Hygieneartikel! Die großen Schwestern sind da auch sehr nachlässig.
Also, habe ich sie gefragt. Die Antwort kam prompt: „Ich gucke einen YouTube Channel! Da wird das alles erklärt!“ Überhaupt hat sie da ein Faible für, die Nominierung von LeFloid für den Grimme Online Award hat sie nicht verwundert, sie schaut den Channel schon lange – wie auch ihre großen Schwestern. Sie nutzen einfach das neue Leitmedium Internet!
Und nein, Nagelstudio, Online Videos – ich möchte nicht, dass ein falsches Bild entsteht, sie ist ein wunderbares Kind, aufgeweckt, gut in der Schule – nun, was ein Vater so sagt <3 ABER (war ja klar, dass ein ABER kam) was ich sagen will: Da ändert sich was, ganz in der Mitte der Gesellschaft. Und ja, alle Apologeten der guten, alten Leitmedien sagen immer wieder gebetsmühlenhaft: „Alles stabil, alles gut …“ und hoffen dabei doch nur, dass sie selbst von den dramatischen Änderungen nicht mehr betroffen werden (und sagen das auch hinter vorgehaltener Hand!). Und ignorieren eine wirklich ernsthafte Auseinandersetzung mit dem modernen Leitmedium Internet!
Denn das Leitmedium aktuell ist das Netz – das neue Leitmedium Internet. Bei den ganz Jungen in einer dramatisch drastischen Art – sie lernen dort, kommunizieren dort und holen sich die News dort – und nirgendwo anders! Und ja, die Nutzung von Radio ist stabil – klar, überall dudelt so ein Ding und wenn man sich die Erhebungsmethode anschaut, wird da in keinster Weise qualitativ abgefragt („An welchen Inhalt erinnern Sie sich im Radio …“), sondern nur ob – und das hat schon seine Gründe! Auch beim Fernsehen – der Kasten läuft – was dabei geschieht, interessiert niemand – bloß nicht, dann laufen auch noch die letzten Kunden weg – wahrscheinlich zum neuen Leitmedium Internet.
Und da schließt sich der kleine Reigen übers Leitmedium Internet. Denn schließlich und endlich geht es bei der Nutzung ja auch immer um das angegliederte Geschäftsmodell, das sich auf diese Nutzung aufbaut. Denn schließlich wird ein Medium in den meisten Fällen ja nicht zum Selbstzweck betrieben. Und da sieht es noch mauer aus bei den Genossen, die sich immer wieder gern mit geschwellter Brust als Leitmedium deklarieren. Sie wollen auch nichts daran ändern …
Und um den Reigen am Anfang zu beenden (?): Die Tochter sitzt unten, macht Französisch mit der Nachbarstochter, der Papa sitzt am Rechner und muss gleich einen Kurs für Online Medien abhalten und auf dem Schreibtisch liegt Digitale Renaissance: Manifest für eine neue Welt von Martin Burckhardt, der darin von einer Änderung der Gesellschaft aktuell spricht, die vergleichbar ist mit der Wende vom Mittelalter zur Neuzeit. Genau … und das Leitmedium Internet wird überbewertet, sagen die Medienprofis!