Die Geschichte ist zu lang, warum es so ist, aber gerade befülle ich einen neu erworbenen Classic iPod, der natürlich nicht neu ist, aber 160 GB Musik fasst. Ich bin immer noch sauer, dass Apple ihn aus dem Programm genommen hat und nicht upgedated hat auf sagen wir 300 GB Speicherplatz – ich könnte es brauchen. In der Zeit, in der ich keinen Zugriff auf den klassischen iPod hatte, habe ich mich 100% aufs Streaming verlegt – und deutlich weniger Musik gehört. Ich habe ein großes Repertoire, ich weiss schon, wo ich gucken muss, aber irgendwie hat mich die riesen Auswahl – nun, vom Suchen abgehalten. Auch wenn die vorgeschlagenen Playlists zuweilen wirklich hervorragend sind.
Aber verstanden, was es wirklich ist, habe ich erst, als ich mit dem – zugegebener Maßen komplizierten – Befüllen des neuen/ alten iPods begonnen habe. Das ist mein persönliches Musikgedächtnis, das ich da mit mir herumtrage. Ich muss nicht bei jedem Wunsch, Musik zu hören, neu überlegen – ich kann mit dem Click Wheel in meinem musikalischen Gedächtnis stöbern und mich darauf verlassen, dass ich es mag. Ich habe ja schließlich einmal schon meinen Geschmacksfilter eingesetzt! Zusätzlich kommen da natürlich auch noch die Erinnerungen hinzu, also das, was Musik emotional ausmacht. Durch das analog digitale Erlebnis des iPods (was wie ein Widerspruch klingt, aber keiner ist …) wird diese Emotionalität im Gegensatz zum Streaming noch verstärkt.
Streaming – das neue Radio
Da kommt den älteren Musikliebhaber natürlich gleich die Lieblingscassette in den Sinn. Das Ding, das man ungefähr hunderttausendmal hintereinander in das Cassettenteil im Auto gesteckt hat. Genau das ist heute der iPod – zugegebenermaßen mit viel mehr Musik. Aber wir entwickeln uns ja auch weiter! Und im Gegenzug dazu ist Streamen das neue Radio – nämlich der alltägliche Musikkonsum, der einem immer wieder neue Türen aufmacht. Und durch die hinterlegten Logarithmen sorgt das Streaming auch dafür, dass der jeweils persönliche Musikgeschmack gebührend repräsentiert ist. Nun war bisher immer die Rede davon, dass Streaming zu kompliziert und dann doch zu kostenintensiv ist, spätestens seit den neusten Tarifen wie Stream on der Telekom (die anderen Anbieter werden hier sicher nachziehen!), die das Streaming quasi kostenfrei anbieten, ist damit dann auch das letzte Argument für Radio – umsonst und überall – obsolet.
Streaming und iPod – und wofür noch Radio?
Wenn wir nun einen Ersatz für unsere Lieblingcassette haben und auch ein adäquates neues Medium, das das Radio, so wie es heute eingesetzt wird, ersetzt, wofür brauchen wir dann noch das Radio? Diese Frage liegt mir am Herzen, nicht nur weil ich immer noch und schon wieder gerne beim Radio mitmache. Mir ist es auch unverständlich, wie man bei dieser Entwicklung noch Radioprogramme fahren kann, deren Geschäftsmodell auf den alltäglichen Musikkonsum zielen – der technisch und auch geschmacklich von anderen Medien wesentlich überzeugender und auch noch individualisiert daher kommt – etwas, was das klassische Radio nie erfüllen kann. Wenn man dann auch noch Werbespots im Radio hört, die das Produkt bewerben, dass munter den Ast absägt, auf dem das Radio sitzt, erinnert das ein bisschen an die hilflosen Werbekleber für Uber auf Taxis! Nun, motzen kann jeder, neue Ansätze sind aber gefragt!
Radio in Zeiten von Volks Streaming
Die Geräte fürs Streamen sind Allgemeingut und auch die Kostenseite ist geregelt, insofern ist man kein Apologet mehr, wenn man sagt, bald werden die Menschen, die Musik im Alltag „nutzen“ wollen, alle streamen – das ist individueller, man kann skippen etc. – diese Vorteile sind alle schon zur Genüge durch dekliniert. Und dann hört wer noch Radio? Entweder die Zivilisationsverlierer, die als Zielgruppe gerade im privat finanzierten Radio eine Katastrophe wären oder die Menschen, die eine Ansprache wollen. Und da fangen wir an mit dem neuen alten Radio. Denn Ansprache heisst nicht, belanglose Moderationen, die auf keinen Fall den Musikfluss stören sollen, sondern Charakter. Und dazu gehört sicher auch Musik, allerdings aufgewertet als Content – durch Geschichten des Moderators, durch Zusammenhänge die mit dem Hörer hergestellt werden. Das hatten wir schon mal, das wird von vielen aktuellen Radiomachern als Dampfradio verpönt, ist aber die Zukunft, wenn es denn eine Zukunft geben soll. Und an die aktuellen Radiomacher sei der letzte Satz gerichtet: In den letzten 25 Jahren hat sich die Welt dramatisch verändert, viele neue Herausforderungen sind dazu gekommen, alle Gesellschaftsinstanzen mussten und müssen sich tagtäglich immer wieder aufs neue darauf einstellen. Das Radio hat sich in den letzten 25 Jahren keinen Millimeter verändert. Das sollte zu denken geben …
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